Gschpürmi, zähl mich
Das Performancekollektiv IDK, Diekekskrise, eröffnete gestern die Treibstoff Theatertage in Basel mit seinem Stück „Sigille. Ein esoterischer Trip“. Das Trio wollte sich dem Thema ausliefern und steckte damit die Latte zu hoch. Ausgeliefert war ohne Frage das Publikum, allerdings weniger dem Thema, als dem Indianersalbei, der den Raum beräucherte. Aber lachen durfte es viel.
Von Michaela Friemel
Punk Nummer eins trägt einen schwarzen Hut, darunter ein Palästinensertuch, einen Stofffetzen um die Hüfte und, das sieht man natürlich nur in den ersten Reihen: unter der Strumpf- eine Unterhose mit Sternlein. Sie zu zählen schafft man nicht, auch dann nicht, wenn sich der – wir nennen ihn von nun an – Strumpfhosenmann auf seinem Trip vor dem Publikum tanzend verrenkt. Punk Nummer zwei trägt Brille, zu kurz geratene Engelsflügeli und viel Pink. Sie sucht alle Tugenden dieser und anderer Welten und einen Mann. Nennen wir sie die Engelsfrau. Punk Nummer drei besteht aus Afroperücke, Übergewand und Pluderhosen. Seinen Namen kann man sich merken: Er heisst Fredi Om. Der vierte Punk, der Kapuzenmann, ist vor allem eines: sehr verborgen. Man sieht zwar sein Kinn, das Gesicht jedoch nicht, er ist vom Kopf bis zu den Knöcheln verhüllt.
Sich verbergen ...
IDK, Diekekskrise, abgeleitet von Identitätskrise, das ist ein Schauspielkollektiv – Theaterpunks, wie sie sich nennen. In ihrem Projekt an den Treibstoff Theatertagen in Basel widmen sie sich dem Esoterikboom. Wie Filmprojektionen von Miro Widmer während der Performance zeigen, bewegten sie sich dazu auch im öffentlichen Raum. Sie riefen echte Wahrsagerinnen an, trommelten an der Tattoo selbst fleissig mit und aktivierten eine Sigille, ein magisches Schutzzeichen.
„Nur indem man sich selbst den Themen ausliefert, stösst man auf ihren Kern“, so die Ankündigung des Kollektivs. Dieser Anspruch ist hoch. Er zielt auf die Frage, was sich hinter dem esoterischen Firlefanz befindet, was die Triebfedern für Lach-Yoga, Kabbala und Wahrsagerei sein könnten. Sich ausliefern, das bedeutet mehr als auf der Bühne zu frotzeln und das Publikum, oder zumindest Teile des Publikums, in Lachekstase zu versetzen. So bleibt das Spiel an diesem Abend oft aufgesetzt und wirkt sonderbar leer, die Tänzchen, die Faxen, die Umarmungen. Was symptomatisch ist für den Esoterikmarkt, spiegelt sich im Stück: Der Umgang mit den grossen Fragen des Wohin und Woher und Wozu und des Geliebtwerdenwollens bleibt meist oberflächlich und blind. Blind wie die Reaktion der TV- Wahrsagerin auf die verzweifelte Bemerkung der ihr unbekannten Engelsfrau am Telefon: „Ich finde keinen Mann.“ – „Mein, Gott, wie ist das möglich, Sie sind doch eine so junge und hübsche Frau!“ Die unsinnigen Ratschläge der Wahrsagerin, die dann folgen, lösen viele Lacher aus. Und doch schwingt hier mehr mit als nur Gelächter über all diejenigen, die sich einräuchern und auf esoterischem Weg nach Antworten suchen. Wer kennt das nicht: Hören zu wollen, wie alles am Ende für einen gut kommt.
... oder sich dem Thema ausliefern
Unterhaltsam und belustigend ist das Thema Esoterik offensichtlich rasch. So leicht lassen sich diejenigen nachahmen und parodieren, die für den Weltfrieden beten oder sich in Ekstase lachen. Tatsächlich berühren könnte das Stück jedoch immer dann, wenn die Grenzen aufbrechen zwischen Publikum, Schauspielerinnen und Esoterikern. Wenn die Schauspieler im Song über Lebenshilfen auch das Gründen einer Theatergruppe nennen, tut sich ein Raum auf, den zu betreten spannend wäre, viel zu schnell aber ziehen sie weiter, zurück an die Oberfläche.
Das ist schade. Es gäbe nämlich durchaus berührende Bilder: Etwa, wenn sich Fredi Om, gespielt von Lou Bihler, vor Lachen schüttelt und das gespielte Lachen plötzlich eine seltsame Eigendynamik entwickelt, so dass der Körper vor Lachen noch bebt, während das Gesicht längst woanders ist. Oder in der Peinlichkeit, die entsteht durch das Zuviel an Nähe, wenn Philippe Graff als Strumpfhosenmann einen Mann im Publikum umarmt. Oder der Moment, in dem Rula Badeen als Engelsfrau im Einkaufswagen sitzt. Dort, mitten in leeren Petflaschen, singt sie ein Lied über das Leben und man fragt sich, was mit ihr geschieht, mit uns, wenn wir sterben. Wer wird uns recyceln?
Am Ende setzt sich Wulf Winkelmüller, nun nicht mehr als Kapuzenmann, ans Klavier. Die Punks stehen dahinter ohne Perücken, unverkleidet, und singen gemeinsam: „Weisst du, wie viel Sternlein stehen?“ Da wird etwas sichtbar vom Kern, nach dem das Trio fragt, weil bei allem Firlefanz hinter jeder Rolle, jedem Punk, jedem Schauspieler, jeder Esoterikerin, jeder Zuschauerin, hinter jeder Verkleidung, hinter jedem Verbergen doch immer auch die Sehnsucht steht, erkannt zu werden oder – wie es ihm Lied so schön heisst – geliebt zu sein, einzigartig und gezählt wie die Mücklein, die Wolken und Sternlein.