Hitparade der Niederlagen

 

Auf der Suche nach der grossen Erfolgsstory betritt das deutsche Theaterkollektiv Dramazone die seicht-glamouröse Welt der Schlagermusik. Als heitere analytische Parodie zeigt "Schlagerliederabend": Das Leben selbst ist ein gnadenloser Contest. Man darf mitschunkeln. 


Von Sarah Leonor Müller


Der Markt der Schlagermusik ist grösser als der der freien Szene, sind sich Franziska Ruhl, Sascha Förster und Malte van Haastrecht einig. Lange genug hätten sie als Theater- und Performancekünstler Niederlagen eingesteckt. Jetzt sei es an der Zeit schwarze Zahlen zu schreiben, verraten sie mit professionellem Showbiz-Lächeln und vertraulichem Augenzwinkern. Als drei aufgebretzelte Schlagersternchen in Glitzerkostümen, Halskettchen und Gelfrisur eröffnen sie den Abend mit dem musikalischen Schenkelklopfer "Bella Musical" der kürzlich verstorbenen Schlagerikone Nella Martinetti. "Ei, ei, ei Musica, Lieder sind für alle da" singen sie weltvergessen im Kanon. Das Publikum wurde zu Beginn freundlich zur Stimmungsmache instruiert und klatscht treu mit. Bahnbrechend doof und deshalb komisch sind die schrillen Coverversionen von Hits wie etwa "Fiesta Mexicana" von Rex Gildo. Die drei Performer unterlegen die Lieder mit eigenen Texten übers Scheitern, die Leere und Depression und durchbrechen die scheinheilige Fassade der Heiterkeit. Obwohl dieses Spektakel an die realen Schlagerstars am Rande des Abgrunds erinnert (Rex Gildo etwa sprang aus dem Fenster), steckt darin mehr als blosse Parodie. Verpackt in einer TV-artigen Nummernshow ist dieser Schlagerabend eine feinsäuberliche Analyse persönlicher Erfolgswünsche, Ängste und Misserfolge.

 

Seelenstriptease im Zelt 

Ziemlich seziererisch wirkt bereits die dreigeteilte Bühne. In der Mitte befindet sich die Showbühne im pinken Scheinwerferlicht. Links davon ein Produktionstisch, Ort des Schaffens, Ideenschmiede der Performancegruppe. Dort wird zum Theaterprojekt Stellung bezogen, dort werden Schlager kritisch hinterfragt. Rechts steht ein silbernes kleines Zelt, das als intimer Raum genutzt wird. Wenn die drei Performer dort drin vor laufender Kamera anhand einer Skala von eins bis zehn Fragen zu ihren Studienfächern, Berufsaussichten und Zukunftsgefühlen beantworten müssen, scheinen sie aus ihren Rollen herauszutreten. Auf einer Leinwand beobachtet das Publikum ihre Gesichter in Nahaufnahme. Es wird unbequem persönlich. Einerseits wirkt das wie eine Persiflage auf den Seelenstriptease in Nachmittag-Talkshows, andererseits zeichnet sich daran gerade die interessante Gratwanderung zwischen Spiel und Authentizität dieses Theaterabends ab.


Showbiz reloaded


Von Cyril Werndli

 

Das Performance‐Kollektiv "Dramazone" lädt zum Schlagerliederabend in der Kaserne Basel. Die Bühne ist Arbeitsraum, Show‐Arena und Künstlerkabine in einem. Franzi, Malte und Sascha versuchen eine Seelenschau des Schlagers und treffen den Ton.

 

Der Abend beginnt mit einem Crashkurs für die Zuschauer. In Kleingruppen werden die drei Grundelemente des Showbiz aufgefrischt: klatschen, schunkeln und Plakate hochhalten. Dann wird losgeschlagert. Hier die drei grössten Schwächen des Abends:  Platz 3 – Ermüdendes Studentenlamento. Studenten sind arm. Akademiker ist kein Beruf. Geldverdienen ist echt mühsam. Zu viel Unimief für süsse Gefühlsseligkeit. Platz 2 – Dramaturgie eines Gruppenreferats. Es will nicht flutschen. Choreographierte Charts von persönlichen Siegen und Niederlagen drängen sich ohne Raffinesse zwischen Interviews und Schlagershows. Platz 1 – Showmaster gesucht. Pointen verheddern sich im Lampenfieber. Der Smalltalk mit dem Publikum mutiert zum Kraftakt. Wer schmissig durch den Abend geführt werden möchte, muss sich geschlagen geben.


Und nun die drei stärksten Momente des Abends: Platz 3 – Eiskalte Interviews. Im Igluzelt sezieren die Entertainer ihre Gefühle. Feuchte Augen, trockene Münder. Ängste und Visionen werden auf einer Skala erfasst und in ihrer mathematischen Präzision gegeneinander aufgerechnet. Knallhart kalkuliert. Platz 2 – Ein Lob auf den Dilettantismus. Sie singen nicht wirklich rein; sie schwingen die Hüfte so locker wie ein Golfspieler beim Abschlag. Mit ihrem Handicap treffen sie voll ins Schwarze. Platz 1 – Frieden light. Während im Hintergrund die Melodie des Eurovision‐Siegersongs "Ein bisschen Frieden" aus den Boxen säuselt, zankt sich das Trio über den Tiefgang des Textes und beweist damit: Wer den Schlager zu ernst nimmt, schlägt den Schlager tot. Der Abend beschwingt mit einem kurzweiligen Potpourri aus Fremdschämen, Amüsement, und Herzschmerz. Dafür lieben wir das Showbiz.