ALKOHOL GEGEN DIE TROPENFÄULE
Tumasch Clalüna inszeniert Hunter S. Thompsons Roman "The Rum Diary" und vertraut dabei auf die Kraft von karibischer Atmosphäre und Salsa-Rhythmen. Was vielversprechend beginnt ermüdet über die Dauer und kann den fast dreistündigen Abend nicht zusammenhalten.
Von Cyril Werndli
Der Theaterabend beginnt im Hinterhof. An der Bar gibt es alkoholische Getränke in den verschiedensten Geschmacksrichtungen. Bezahlt wird mit Dollars. Diese können beim Regisseur persönlich gewechselt werden. Es wird um Devisenkurse gefeilscht und wenig später genüsslich am Mojito genippt. Kaum haben sich die Gäste im Smalltalk eingerichtet, werden sie vom Balkon herab unterbrochen. Ein kurzer Prolog. Karibische Klänge locken das Publikum ins Innere des Theater Roxy. Es herrscht fröhliche Stimmung, in den Zuschauerrängen wie auf der Bühne.
Die Bühne erstreckt sich über das ganze Souterrain. Eingerahmt wird sie von einer vierköpfigen Band auf der einen und einer Fressbude auf der anderen Seite. Paul Kemp (Simon Grossenbacher) tritt auf und fragt nach der "Daily News". Er kommt als Reporter aus New York nach San Juan. In Puerto Rico sucht er das schnelle Geld und das Abenteuer. Er ist nicht der einzige Eindringling auf der kleinen Insel. Amerikanische Investoren haben das Land für sich entdeckt. Sie predigen den Kapitalismus und beschwören den kommenden Aufschwung. Die US-Armee nutzt eine vorgelagerte Insel für Manöverübungen und Waffentests. Bilderbuch-Strände locken zahlreiche Touristen ins Land. Der drohende Untergang lässt sich bereits erahnen.
Viel saufen. Stop. Viel ficken. Stop.
Davon zeigen sich Paul und seine zwei Arbeitskollegen Bob Sala (Oliver Goetschel), Yeamon (Danny Exnar) und Paul unbeeindruckt. Sie hocken in der Bar. Es wird gelacht, viel getrunken, gerülpst. Unvollendete Reportagen dienen als Gesprächsstoff. Das Arbeiten wird auf morgen verschoben. Wirklich Spass macht die Hummer- oder Hühnerjagd. Leichte Beute. Yeamons Freundin Chenault (Marisa Rigas) schmiegt sich leicht bekleidet an die harten Kerle. Gierige Männer frotzeln über leichte Mädchen. Spannungen entladen sich in physischer Gewalt: Männer schlagen ihre Frauen, Kumpels verprügeln sich gegenseitig, wilde Einheimische machen Jagd auf arrogante Ausländer. Es herrschen raue Sitten. Die drei Reporter trinken gegen die Tropenfäule. Gegen den Untergang. Und dann gibt’s erstmal eine Pause. Hamburger und dazu ein Bier.
Die Inflation hat inzwischen die Insel fest im Griff. Das sorglose Leben wird immer teurer. Die Realität lässt sich nicht mehr einfach wegsaufen. Der Alkohol hat seinen Preis. Der Job bei der maroden Zeitung wird gekündigt. Die Zukunft ist ungewisser denn je. Ausreisen, aber wohin? Nach Mexico? Oder Uruguay? Oder doch nach Samoa? Klingende Namen, die das Paradies verheissen. San Juan entpuppt sich zunehmend als Hölle. Selbst das eigene Leben scheint bedroht. Nicht nur durch Gewaltexzesse. Der Feind lauert auch im Innern: Parasitäre Darmwürmer. Die Realität zeigt ihre Fratze. Die Band spielt dagegen an. Die Menschen tanzen dagegen an. Chenault dreht mit Paul durch.
Fallhöhe verspielt
Der Abend beginnt vielversprechend: Die Musik swingt; die Worte kommen kurz und knackig; es riecht nach Grilladen, Alkohol und Schweiss. Der Inszenierung gelingt es, eine Atmosphäre zu schaffen und eine Stimmung aufzubauen, die sich für Einblicke in Abgründe wahrlich anbietet. Doch je länger der Abend dauert, desto mehr Sand gerät ins Getriebe. Anstatt die Fallhöhe auszunutzen wankt die Erzählung unsicher von einem Schauplatz zum nächsten. Die Schauspieler geraten ins Stocken und wirken zuweilen etwas hilflos. Simon Grossenbacher überzeichnet die Figur des Paul Kemp und lässt viel Energie im Kampf gegen Textlücken verpuffen. Dem Fortschreiten der Handlung nimmt das den Schwung. Oliver Goetschel und Marisa Rigas bleiben als Nebenfiguren blass.
Auf der Bühne überzeugt einzig Danny Exnar in seinen zwei Rollen: einmal als hitziger und unberechenbarer Yeamon wie auch als lasziver Investor Sanderson. Ein grosses Lob verdient die Basler Salsaband "K’aliche" für ihre musikalische Qualitäten und ihren schmissigen Sound. Darauf vertraute die Regie – und auf den Sog der karibischen Atmosphäre. Doch diese vermag die fast dreistündige Inszenierung nicht zu tragen. Weniger klischeebehaftetes Rumgesaufe, dafür mehr von den ruhigen und umso abgründigeren Momenten hätten der Inszenierung gut getan. Kürzer aber tiefer. So endet der Abend nicht im abgründigen Strudel des Karnevals. Er versandet irgendwo.